Sunday 28 October 2012

Le Corbusier und Bollywood

Wir fahren am 23. Oktober zum ersten Mal mit dem Zug, in einem komfortablen AC- Express mit reservierten Sitzplätzen, und zwar nach Chandigarh. Zuerst gibt es Tee, dann ein kleines Frühstück, und jedesmal pro Person eine kleine Thermoskanne mit heissem Wasser für den Tee. Es ist mir ein Rätsel, wie das die Schaffner in der Miniküche schaffen. Als Dessert gibt es zwei „Alpenliebe“- Bonbons! Nach jedem Essen kommt der Besenmann und wischt die Krümel und Papiere weg. Wir fahren an Slumquartieren von Delhi vorbei, wo die Leute gerade an der Morgentoilette sind, also die brachliegenden Grasflecken oder das Bahnbord als Toilette benützen. Die Frau vor sagt zu  ihrem kleinen Sohn: „Schau  jetzt nicht hinaus!“

In Chandigarh werden wir von den Rikschafahrern belagert, aber wir wollen mit dem Bus fahren. Wir schaffen es auch, nach vielem Fragen und allerlei unterschiedlichen Auskünften. Wir fahren zum Sektor 17, dann in den Sektor 8 und wollen eigentlich zum Secretariat und den typischen Corbusiergebäuden. Corbusier hat diese Stadt aus dem Nichts entwickeln können, ohne bereits vorhandene Strukturen, die seine Ideen eingeschränkt hätten. Der Grundriss ist  schachbrettartig, die Quartiere sind nummeriert, in sogenannten Sectors organisiert und sehr grosszügig und weitläufig konzipiert. Alle Gebäude sind im selben Stil, aus Beton und in der Norm dreistöckig gebaut, nur die staatlichen Gebäude oder rerpäsentativen Bauten sind höher.

 
Irgendwie landen wir dann im High Court, alles top secret natürlich, viel Polizei, immer mit dem Gewehr im Anschlag. Wir fragen, ob wir das Gebäude besichtigen können, aber sofort heisst es: Permit? Haben wir nicht.

Wir wollen schon wieder abzockeln, da meint der Polizist mit dem Gewehr, wir sollen ruhig rein gehen,  einfach das Gepäck draussen lassen, vor allem die Kameras. Die Macht hat klar mit der Waffe. Wir kommen in den ersten Stock, und da wird etwas von dem Monumentalen von Corbusier sichtbar – grosse, farbige Trennwände, sehr imposant, sehr schön – rot, blau, gelb, grün. 
Wir sehen auch die Hand und den Turm, den wir eigentlich anschauen wollten, wenigstens von weitem. Hier ein Bild vom Internet: 

Auf diesem Youtube-Film über Chandigarh bekommt man einen guten Eindruck:  http://www.youtube.com/watch?v=jPK9wmNH_CI


Weil heute ein Feiertag ist – Durehssa – ist alles geschlossen, aber wir bekommen doch ein Pepsi in einer zusammengebastelten Beiz unter einem riesigen Baum. Wir wandern auf der staubigen Strasse zur Bushaltstelle - es ist eigentlich überall staubig hier, deshalb sind die Flipflops am geeignetsten. Der Busfahrer meint,  der Rock Garden sei in der andern Richtung. Wir machen uns auf den Weg und suchen die andere Bushaltstelle, bis wir merken, dass wir direkt vor dem Rock Garden stehen. 
 
Die nächsten vier Stunden wandern wir durch eine Wunderwelt, aus Beton, Stein und Geschirrscherben geformt. 

Offenbar hat sich Nek Chand von Corbusier inspirieren lassen, was den Beton als Gestaltungselement betrifft. Die Formen stehen jedoch im totalen Gegensatz dazu – sie sind sehr naturnah und wirken organisch.

 Die Durchgänge lassen manchmal gerade eine Person passieren, und einige „Tore“ sind so niedrig, dass höchstens Achtjährige aufrecht durchgehen können. 



 


Auf einem grossen Platz essen wir Momos, und zack! sind wir von Schulmädchen umringt. „Hello! How are you?“  und dann – Fotos!!! Mit mir und Alex, nur mit Alex, nur mit mir, und jedes Mädchen hat ja ein Handy, also das Ganze etwa gefühlte hundertmal ... und dann kommt der Lehrer, setzt sich fast auf unsere Momos und will natürlich auch ein Foto mit uns beiden. Dann dasselbe noch mit einer Jungenklasse, die sind einiges aufdringlicher als die Mädchen (logisch) und sprechen schlechter englisch, und dann machen wir uns schleunigst auf den Rückweg.

Das letzte Wegstück ist bevölkert von Fantasiefiguren:


Und mitten in diesen Figuren diese Szene:
Endlich!
Wir sind tatsächlich in eine Bollywood-Produktion geraten! Es sei eine berühmte Schauspielerin, und die Szene besteht aus zwei Schritten, bis sie sich in die Arme fallen können. wichtig: DeieSonnenbrille.
Die Filmer sind sehr erfreut, dass sich Alex interessiert und auch filmt - in Amerika hätten sie uns schon längst abgeführt. Switzerland? Oh, sie hätten letztes Jahr auf dem Jungfraujoch gefilmt, seien in Genf und Bern gewesen – very beautiful country!
Filmcrew

Auf der Rückfahrt ins Zentrum sehen wir von den Corbusierbauten nicht gerade viel, denn die Strassen sind sehr breit angelegt und dicht von Bäumen gesäumt – man sieht fast keinen der Wohnblöcke. Es nimmt mich wunder, ob Corbusier wirklich die Vordächer und Lauben vergessen hat – ausgerechnet in Indien!  Nur im Sektor 17 sehen wir die einförmige Shoppingmeile mit den üblichen Reklameschildern - Sony, Toshiba usw. Sieht etwas langweilig aus, und überall bröckelt der Beton.
Unser Bus geht um 23.30, und nicht etwa vom Busbahnhof mit den über hundert Bussen, 
sondern offenbar bei einer Tankstelle. Wir überqueren einige Strassen, klettern über staubige Böschungen und Rabatten und dann warten wir. Mit gut einer Stunde Verspätung fahren wir los, dafür in einem Affentempo. Das spüren wir vor allem, als sich der Bus in die Kurven hinauf nach Dharamshala legt - ein bisschen wie die alte Strasse zum Gotthardpass, nur viel enger und viel schlechter, und die Leute fahren viel schneller. Der Fahrer, ein Sikh – stark vertreten im Verkehrswesen -  ist fantastisch. Er hält sich mit  CDs wach, einem faszinierenden Gesang, der fast nur auf einem Ton basiert. Von diesen wunderbaren Tönen eingehüllt, drifte ich einen Halbschlaf, von Kurve zu Kurve geschüttelt, und fühle mich wohl.

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