Monday 15 October 2012

"Lakshmi and me"

Diesen Film von Nishta Jain haben wir in der Vadehra Gallery gesehen. Beeindruckend, ein grossartiges Portrait, wunderbare Nahaufnahmen. Sozialkritisch, ohne Zeigefinger.

 Trailer auf youtube: http://www.youtube.com/watch?v=BtWK_2jdmGg

Lakshmi ist das Teilzeithausmädchen und auch eine Freundin der Filmemacherin Nishtha Jain, und mit diesem Portrait stellt sie die Situation der Hausangestellten in Bombay dar. Ausbeutung oder Schicksal, wie es die eine Arbeitgeberin nennt? Für einen Hungerlohn – ca. 6000 Rupien (ca. 110$) im Monat erledigt Lakshmi die Hausarbeit, ohne einen freien Tag. Sie putzt dauernd, wäscht ab, trägt dem Jungen die Schultasche, holt für ihn den Lift, bringt der Hausherrin Tee, dem Hausherrn Sandwiches, während er auf dem Sofa liegt und fernsieht. „Was für eine Sünde habe ich begangen, um als Frau geboren worden zu sein?“ fragt sich Lakshmi. Sie wohnt im Slum hinter den Hochhäusern, in denen sie arbeitet. Zuerst bei ihrer Familie – 8 Mädchen mit dem Vater, der oft trinkt und dann die Mädchen schlägt, das einzige Bett versäuft. Die Mutter ist noch nicht vierzigjährig gestorben – der Vater wollte unbedingt einen Jungen, und so gebar die Mutter ein Kind nach dem andern, bis sie vor Erschöpfung starb. Eine der Arbeitgeberinnen hat Lakshmi vom Müllsammeln weggeholt und ihr die Hausarbeit beigebracht. 
Lakshmi hat klare Ansichten – wenn der Mann nur einen Jungen im Kopf hat, dann soll er gehen. Oder wenn er trinkt – weg mit ihm! Die Filmerin begleitet Lakshmi zu einer Gewerkschaftsversammlung, wo sie sich stark engagiert – 4 Tage frei pro Monat, geregelte Bezahlung, Pension. Sie ist klug und getraut sich, ihre Meinung zu sagen.
Aber eben – Romantik und eine gewisse Sturheit kommen ihr in die Quere - sie heiratet einen Schneider aus einer unteren Kaste, was ihrer Familie gar nicht passt, der Vater verstösst sie. Sie ist bald schwanger, dabei unterernährt (44 kg im achten Monat), hat die TB-Medikamente nicht mehr genommen. Das Kind ist gesund, leider ist es ein Mädchen, der Mann hätte gerne einen Jungen gehabt.

Ein wunderbares, atmosphärisches Portrait einer jungen Frau, die alle Anlagen hat, aus dem Slum wegzukommen. Grossartige Bildsprache, einfühlsame Kamera. Nicht belehrend, das schöne Gesicht, das ganze Leben von Lakshmi spricht für sich. Erstaunlich, wie selbstverständlich die Kamera überall dabei sein kann!

Wie Nishtha Jain nach der Vorführung sagte, ist die ganze Gewerkschaftsbewegung zerschlagen, nichts von dem erreicht, wofür die Frauen gekämpft haben. Es gibt genügend arme Leute, die vom Land in die Stadt strömen und jede Arbeit machen, auch unter schlechtesten Bedingungen. Oft schlafen die Arbeiter im Shop – tagsüber bügeln sie im Akkord, abends schlafen sie auf oder unter den Bügeltischen. Die Bedingungen in den Slums sind prekär, wie wir in Nishthas Film „At my Doorstep“ gesehen haben. http://www.youtube.com/watch?v=p9bWWx1GeqA
Im Monsun werden ganze Teile überflutet, zum Teil mitgerissen. Wasser gibt es nur um 2.30 morgens, deshalb macht die Mutter dann den Abwasch und holt Wasser, füllt die Vorratskanister auf. Mit jedem vollen Eimer muss sie über die schlafenden Kinder klettern. Dann legt sie sich auf dem Küchenboden einige Stunden hin, sie hat nicht mal genug Platz, um ihre Beine zu strecken. Am Morgen geht sie zur Arbeit, sie ist Köchin.

Nishtha Jain

Der Film über Lakshmi ist in Europa und Amerika mit viel Erfolg gezeigt worden. Einmal zusammen mit Fotos einer Bulgarin, die sich in der EU als Putzfrau durchgebracht hat. Sie hat ihre Arbeitgeber nie gesehen, es ist ihr alles via Zettel mitgeteilt worden. Sie habe sich nie so einsam gefühlt wie in dieser Zeit als Putzfrau, als anonyme Arbeitskraft, sagte die Bulgarin. Die indischen Hausangestellten gehörten immerhin zur Familie, man kümmere sich um sie, so argumentieren die Arbeitgeber.  Ausgebeutet werden sie alle.

In New Delhi ist es die Norm (für die Mittelschicht), dass man Hausangestellte hat. Wie uns Sadaf von Pro Helvetia erzählt, wurden 2010, als die Commonwealth-Spiele in New Delhi stattfanden, viele Slums einfach weggebaggert, dem Erdboden gleichgemacht. Viele Arme wurden direkt von der Strasse weggeholt und in Lastwagen aus der Stadt wegtransportiert. Die Eltern von Sadaf mussten ihre Angestellten mit Pässen und Anstellungsverträgen ausstatten, damit sie überhaupt zur Arbeit kommen konnten und nicht gleich verschleppt wurden. Alles für den Commonwealth.
Die Slums sind in New Delhi nicht so sichtbar wie in Bombay, da hier genügend Raum vorhanden ist. Die Stadt breitet sich einfach immer weiter aus. Ab und zu sieht man Zelte aus Blachen neben dem Gehsteig, alles immer sauber gefegt. Auf dem Weg ins Yoga kommen wir an einer Bügelfamilie vorbei – im Zelt schlafen sie, und daneben, unter dem Baum, wird gebügelt. Mit riesigen, alten Bügeleisen, die mit Kohle geheizt oder auf Heizplatten gewärmt werden.

Von unserem Zimmer sehen wir die Rückseite der andern Häuser, und da arbeiten die Hausangestellten – zum Beispiel hat schräg gegenüber der „Bügler“, wie wir ihn nennen, auf dem Balkon seinen Bügeltisch. Es muss eine grosse Familie sein, denn er bügelt fast jeden Tag und oft auch nachts. Auf dem Balkon nebenan fegt ein junger Mann jeden Tag Teppiche, glaube ich. Morgens um halb sechs beginnt es auf das Balkondach neben unserem zu tropfen – im obersten Stock läuft die Waschmaschine, und der Überlauf geht nach draussen bzw. auf die Balkonstore. Die Hausangestellten beginnen früh! Sauberkeit ist wichtig, dauernd wird gewischt und gewaschen und gebügelt. Die ärmeren Leute haben nicht so viele oder neue Kleider, aber sie sind immer sauber und nie kaputt. Keine Jeans, die für viel Geld verwaschen und zerrissen gekauft werden. Was für ein Hohn.

Und wo ist Lakshmi heute? Nishtha wird ganz emotional – Lakshmi hat viel Geld verdient, dank diesem Film, und hat damit im Süden von Indien Land gekauft und ist mittlerweile mit der dritten Tochter schwanger. Ihr Mann ist ein Trinker geworden, wie der Vater von Lakshmi, und er will unbedingt einen Sohn. Lakshmi ist in die gleiche Falle wie ihre Mutter geraten – sie „produziert Babys“, wie Nishtha sagt. Man spürt den Schmerz und auch die Wut über diese Tradition, die eine begabte, engagierte junge Frau daran hindert, ihre Stärke zu nutzen und sich zu emanzipieren. Auch Boomah, eine junge, selbstständige Galeriemitarbeiterin, gerät enorm in Fahrt und sucht nach den Gründen, die die Emanzipation gerade der ärmeren Frauen verhindert und sie im Teufelskreis Liebe - Abhängigkeit - Kinderproduktion gefangen hält.  Aber eben, es ist Lakshmi selber, die diese Entscheidung getroffen hat.

Der nächste Film von Nishtha Jain dreht sich um die Gründerin Sampat Pal Devi der Gulabi Gang, auch als „Pink Sari“- Bewegung bekannt:

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