Saturday 10 November 2012

Im Alice Boner-Haus



Nachts ist es ganz still. Einmal höre ich eine Kuh durch die Gasse unten galoppieren.  Um fünf Uhr morgens beginnt  im nahen Tempel das Läuten oder eher Dröhnen der Gongs, und bald auch das Kirtan-Singen und Beten. Das hält den ganzen Tag an, abends mit Trommeln und Klingelglöckchen ergänzt und manchmal über Mikrofon übertragen. Die Spatzen in der blühenden Kletterpflanze beim Studio schwatzen den ganzen Tag. 
Ich vermisse das „Zirpen“ der Black Kites von Delhi. Dann klingt das Muschelhorn von einem der Tempel herüber – Zeichen für Anfang und Ende der Zeremonie. Viele Leute gehen jetzt unter dem Haus durch, die einen kommen vom Tempel oder vom Bad in der Ganga, die andern sind auf dem Weg dahin,  die Pilger tragen Gangawasser in glänzenden Messingkrügen nach Hause. Einige Frauen geben den Bettlern rohen Reis, wenige geben manchmal Münzen. 
 Der Verkehr beginnt erst später, mit seinem permanenten Hupen und Fahrradgeklingel, mit dem Rufen und Lachen. Wie das klingt: http://indiecam.blogspot.com

 Aber der Flötenspieler ist schon da, zuerst spielt er seine Tonleitern, dann improvisiert er ein wenig, und wenn dann Westler in Sicht sind, spielt er pseudoklassische Rieu-Musik.
Im Haus ist bereits der Gärtner am Werk und wässert die vielen Pflanzen – überall grünt es, in, um und auf dem Haus. 
Buschhpa bekocht uns jeden Tag mit frischem Gemüse – zwei zu Mittag, zwei zu Abend, und jedesmal schmeckt es anders. Sie ist ganz glücklich, dass wir mirchi (Chili) mögen, aber der Ayurveda-Arzt hat etwas gegen scharfe Speisen. Also wieder zurück zu einem mirchi! Umesh bringt uns überall hin, wo immer wir auch hinwollen, und er bringt uns Hindi bei. Gar nicht einfach! Es tut gut, wieder mal eine Sprache zu lernen – ohne üben geht gar nichts. Maekessehae? Metiicum. Dandewan – soagatam.


Wir werden total verwöhnt, müssen uns aber erst mal an das Bedientwerden gewöhnen. Als der Direktor Dinanath Pathy kommt , wird uns das so richtig klar – Santoos, der putzt und wäscht und bügelt,  grüsst ihn nicht nur mit Verbeugung und zusammengelegten Händen, sondern beugt sich auch, um die Füsse des Direktors zu berühren. 


Es herrscht eine klare Hierarchie – wer wem was befehlen darf, und das geht immer im Befehlston, kurz und eher barsch, zumindest für unser Empfinden. Das ist auch in den Läden so – wer kaufen will, befiehlt: Zeig mir das, zeig mir dies, hast du das in schwarz, grösser, kleiner –immer im Befehlston. Und dann geht man in den nächsten Laden.
Die Türen im Haus sind sehr niedrig und schmal. Dinanath sagt, das sei wie an der Universität, die absichtlich niedere Türe haben: gut für die Bescheidenheit, denn man muss jedesmal demütig den Kopf beugen. Einmal den Kopf anhauen sei toleriert, aber nicht zweimal! Wenn wir an die Haustüre klopfen, schwingt sie auf, wie von Geisterhand geöffnet. Dies dank einem ausgeklügelten Schnursystem, mit dem man von jedem Stock aus die Türe öffnen kann. Die Treppenstufen sind sehr hoch und schmal, schnell mal runterrennen geht nicht, wie man in den Fotos von Alex sieht. Ich trage übrigens die neuen Kleider, die wir machen liessen. (Man beachte die topmodischen Sandalen!) Umesh, der Hausverwalter, hat uns begleitet, damit wir nicht allzu sehr über den Tisch gezogen werden.

 
Man setzt sich beim Stoffhändler auf die Polster  (im Schneidersitz natürlich) und  dann breitet der Stoffhändler seine Stoffe aus, bis man nicht mehr weiss, was man eigentlich will!


Die Löhne sind tief. Umesh, der Hausverwalter, verdient etwa 12'000 Rupies, und nur schon das Schulgeld für seine Kinder kostet ihn 6'000. Die öffentlichen Schulen seien so schlecht, dass alle Leute, die das Geld aufbringen können, Privatschulen vorziehen. (Die Lehrer der öffentlichen Schulen beherrschen nicht einmal Englisch richtig, meint er.) Er hat ein Motorrad, auf dem er die ganze Familie transportiert, aber die älteste Tochter wird jetzt 14, da geht das nicht mehr so gut, sie ist zu gross geworden! Auch hier ist es so, dass der Mann einen Helm trägt, die Frau seitwärts hinter ihm sitzt, mit dem Sari als Kopfschutz (!) Ein Kind sitzt vorne auf dem Tank, eines auf den Knien der Frau, und zwischen Mann und Frau klemmt dann das dritte Kind, meist stehend. Die Masseurin beim Ayurveda-Arzt verdient 3000 Rupies, das sind etwa 54 Schweizer Franken, für eine 6-Tage-Woche mit 10-Stundentag.

Vorgestern bin ich zum ersten Mal auf einem Kuhfladen ausgerutscht, aber ein netter Mann hat mich vor dem Sturz in den dreckigen Strassengraben bewahrt. Die Kühe sind überall, und manchmal sind die Gassen so eng, dass sie einen fast an die Hauswand quetschen. Sie sind die vielen Menschen gewöhnt, und manchmal reagieren sie sogar auf die Motorradhupe. Meistens nicht. 

Gestern sind wir gerade zum Melken gekommen – mitten auf der Strasse. Die Leute warten bereits mit den Milchkesseli. Dinananth meint, das sei nicht etwa, weil der Besitzer keinen Stall hätte, sondern weil die Käufer sicher gehen wollen, dass der Bauer kein Wasser in die Milch schüttet. Er kannte einen Bauern, der es dennoch schaffte, unter den Augen der Käufer Wasser in die Milch zu schmuggeln – er trug eine Art Wassergurt und benutzte  seinen Arm als Pumpe. Der Stall befindet sich gleich eneben dem Wohnhaus und hat dieselben Fenster. Ich bemerke den Unterschied nur, weil ich einen Kuhkopf im Fenster sehe.
Das Kalb fragt sich, ob die Milch nachher noch reicht.

Apropos Tiere: Das ist unser Hausgecko, der hinter diesem Plakat für eine Ausstellung im Haus zum Kiel wohnt.

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