Diesen Film von Nishta Jain haben wir in
der Vadehra Gallery gesehen. Beeindruckend, ein grossartiges Portrait,
wunderbare Nahaufnahmen. Sozialkritisch, ohne Zeigefinger.
Trailer auf youtube: http://www.youtube.com/watch?v=BtWK_2jdmGg
Lakshmi ist das Teilzeithausmädchen und auch eine Freundin der Filmemacherin Nishtha Jain, und mit diesem Portrait stellt sie die Situation der Hausangestellten
in Bombay dar. Ausbeutung oder
Schicksal, wie es die eine Arbeitgeberin nennt? Für einen Hungerlohn – ca.
6000 Rupien (ca. 110$) im Monat erledigt Lakshmi die Hausarbeit, ohne einen
freien Tag. Sie putzt dauernd, wäscht ab, trägt dem Jungen die Schultasche,
holt für ihn den Lift, bringt der Hausherrin Tee, dem Hausherrn Sandwiches,
während er auf dem Sofa liegt und fernsieht. „Was für eine Sünde habe ich
begangen, um als Frau geboren worden zu sein?“ fragt sich Lakshmi. Sie wohnt im
Slum hinter den Hochhäusern, in denen sie arbeitet. Zuerst bei ihrer Familie – 8 Mädchen mit dem
Vater, der oft trinkt und dann die Mädchen schlägt, das einzige Bett versäuft.
Die Mutter ist noch nicht vierzigjährig gestorben – der Vater wollte unbedingt
einen Jungen, und so gebar die Mutter ein Kind nach dem andern, bis sie vor
Erschöpfung starb. Eine der Arbeitgeberinnen hat Lakshmi vom Müllsammeln
weggeholt und ihr die Hausarbeit beigebracht.
Lakshmi hat klare Ansichten –
wenn der Mann nur einen Jungen im Kopf hat, dann soll er gehen. Oder wenn er
trinkt – weg mit ihm! Die Filmerin begleitet Lakshmi zu einer
Gewerkschaftsversammlung, wo sie sich stark engagiert – 4 Tage frei pro Monat,
geregelte Bezahlung, Pension. Sie ist klug und getraut sich, ihre Meinung zu
sagen.
Aber eben – Romantik und eine gewisse
Sturheit kommen ihr in die Quere - sie heiratet einen Schneider aus einer
unteren Kaste, was ihrer Familie gar nicht passt, der Vater verstösst sie. Sie
ist bald schwanger, dabei unterernährt (44 kg im achten Monat), hat die
TB-Medikamente nicht mehr genommen. Das Kind ist gesund, leider ist es ein
Mädchen, der Mann hätte gerne einen Jungen gehabt.
Ein wunderbares, atmosphärisches Portrait
einer jungen Frau, die alle Anlagen hat, aus dem Slum wegzukommen. Grossartige
Bildsprache, einfühlsame Kamera. Nicht belehrend, das schöne Gesicht, das ganze
Leben von Lakshmi spricht für sich. Erstaunlich, wie selbstverständlich die
Kamera überall dabei sein kann!
Wie Nishtha Jain nach der Vorführung sagte,
ist die ganze Gewerkschaftsbewegung zerschlagen, nichts von dem erreicht, wofür
die Frauen gekämpft haben. Es gibt genügend arme Leute, die vom Land in die
Stadt strömen und jede Arbeit machen, auch unter schlechtesten Bedingungen. Oft schlafen
die Arbeiter im Shop – tagsüber bügeln sie im Akkord, abends
schlafen sie auf oder unter den Bügeltischen. Die Bedingungen in den Slums sind
prekär, wie wir in Nishthas Film „At my Doorstep“ gesehen haben. http://www.youtube.com/watch?v=p9bWWx1GeqA
Im
Monsun werden ganze Teile überflutet, zum Teil mitgerissen. Wasser gibt es nur
um 2.30 morgens, deshalb macht die Mutter dann den Abwasch und holt Wasser,
füllt die Vorratskanister auf. Mit jedem vollen Eimer muss sie über die
schlafenden Kinder klettern. Dann legt sie sich auf dem Küchenboden einige
Stunden hin, sie hat nicht mal genug Platz, um ihre Beine zu strecken. Am Morgen
geht sie zur Arbeit, sie ist Köchin.
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Nishtha Jain |
Der Film über Lakshmi ist in Europa und
Amerika mit viel Erfolg gezeigt worden. Einmal zusammen mit Fotos einer
Bulgarin, die sich in der EU als Putzfrau durchgebracht hat. Sie hat ihre
Arbeitgeber nie gesehen, es ist ihr alles via Zettel mitgeteilt worden. Sie habe sich nie so einsam gefühlt wie in dieser Zeit als
Putzfrau, als anonyme Arbeitskraft, sagte die Bulgarin. Die indischen
Hausangestellten gehörten immerhin zur Familie, man kümmere sich um sie, so argumentieren die Arbeitgeber. Ausgebeutet werden sie alle.
In New Delhi ist es die Norm (für die
Mittelschicht), dass man Hausangestellte hat. Wie uns Sadaf von Pro Helvetia
erzählt, wurden 2010, als die Commonwealth-Spiele in New Delhi stattfanden, viele
Slums einfach weggebaggert, dem Erdboden gleichgemacht. Viele Arme wurden
direkt von der Strasse weggeholt und in Lastwagen aus der Stadt wegtransportiert.
Die Eltern von Sadaf mussten ihre Angestellten mit Pässen und
Anstellungsverträgen ausstatten, damit sie überhaupt zur Arbeit kommen konnten
und nicht gleich verschleppt wurden. Alles für den Commonwealth.
Die Slums sind in New Delhi nicht so
sichtbar wie in Bombay, da hier genügend Raum vorhanden ist. Die Stadt breitet
sich einfach immer weiter aus. Ab und zu sieht man Zelte aus Blachen neben dem
Gehsteig, alles immer sauber gefegt. Auf dem Weg ins Yoga kommen wir an einer
Bügelfamilie vorbei – im Zelt schlafen sie, und daneben, unter dem Baum, wird
gebügelt. Mit riesigen, alten Bügeleisen, die mit Kohle geheizt oder auf
Heizplatten gewärmt werden.
Von unserem Zimmer sehen wir die Rückseite
der andern Häuser, und da arbeiten die Hausangestellten – zum Beispiel hat
schräg gegenüber der „Bügler“, wie wir ihn nennen, auf dem Balkon seinen
Bügeltisch. Es muss eine grosse Familie sein, denn er bügelt fast jeden Tag und oft auch nachts.
Auf dem Balkon nebenan fegt ein junger Mann jeden Tag Teppiche, glaube ich.
Morgens um halb sechs beginnt es auf das Balkondach neben unserem zu tropfen –
im obersten Stock läuft die Waschmaschine, und der Überlauf geht nach draussen
bzw. auf die Balkonstore. Die Hausangestellten beginnen früh! Sauberkeit ist
wichtig, dauernd wird gewischt und gewaschen und gebügelt. Die ärmeren Leute haben
nicht so viele oder neue Kleider, aber sie sind immer sauber und nie kaputt.
Keine Jeans, die für viel Geld verwaschen und zerrissen gekauft werden. Was für
ein Hohn.
Und wo ist Lakshmi heute? Nishtha wird ganz
emotional – Lakshmi hat viel Geld verdient, dank diesem Film, und hat damit im
Süden von Indien Land gekauft und ist mittlerweile mit der dritten Tochter
schwanger. Ihr Mann ist ein Trinker geworden, wie der Vater von Lakshmi, und er
will unbedingt einen Sohn. Lakshmi ist in die gleiche Falle wie ihre Mutter
geraten – sie „produziert Babys“, wie Nishtha sagt. Man spürt den Schmerz und
auch die Wut über diese Tradition, die eine begabte, engagierte junge Frau
daran hindert, ihre Stärke zu nutzen und sich zu emanzipieren. Auch Boomah, eine junge, selbstständige Galeriemitarbeiterin, gerät enorm in Fahrt und sucht nach den Gründen, die die Emanzipation gerade der ärmeren Frauen verhindert und sie im Teufelskreis Liebe - Abhängigkeit - Kinderproduktion gefangen hält. Aber eben, es
ist Lakshmi selber, die diese Entscheidung getroffen hat.
Der nächste Film von Nishtha Jain dreht sich
um die Gründerin Sampat Pal Devi der Gulabi Gang, auch als „Pink Sari“- Bewegung bekannt:
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